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KinderBriefe

Celan, Paul

Der erste Brief antwortet auf eine Anfrage, ob Lyrik nicht die gebundene Rede zur Voraussetzung hat.
Siehe dazu auch Christoph Ransmayrs Notiz am Rand, die er seinem Roman Der fliegende Berg voranstellt.

Lieber Cornelius Schwehr,

mir lieb, von Ihnen zu hören/lesen. Ungelücht, wie man in Münster sagte. Zu Ihrer Anfrage muß ich mit dem Kopf nicken und mit dem Kopf schütteln. Sehr nicken: Genau das ist der Mist an der Germanistik, daß sie immer nur, wie Fr. Th. Vischer, der Form- und Sinnhuber unterschied, Sinnhuberei betreibt. Ein ewiges Leid. Töne, Melodien, Klänge oder das Prosodische, dem sich nur die Sprachwissenschaft widmet, kommen nicht vor. Es geht immer nur um Inhalte und um die Interpretation von Worten, Sätzen aus gelehrten Kontexten. Die Germanistik hat überhaupt kein Gespür für das Sinnliche der Sprache. Wenigstens in der Lyrik sollte sie das haben. Hat sie aber auch dort nicht. Und es interessiert auch keinen, wenn man über 'sound', Konsonanten- und Vokalbeziehungen redet. Formale Beobachtungen kommen nur insofern in Betracht, als zu folgern ist: Hier ist eine Akzentverschiebung, das muß inhaltliche Gründe haben. Die fatale Form-Inhalt-Gleichung führt dazu, daß Formales nur als Indiz für Sinn verstanden wird. Ich blute mir das Lehrherz fusslig, wenn ich auf das Musikalische/Melodische in lyrischen Texten aufmerksam machen will, es erstaunt sie, aber sie wollen es nicht wissen. Natürlich ist die Zeile das A und O der Lyrik. Beim Ausarbeiten die größte Mühe. So lange es feste Metren und Reime gab, war das geregelt. In der 'ungebundenen' Lyrik liegt noch mehr alles Gelungensein oder -nicht im Finden der rechten Zeile. Nur scheint das, je karger die Celansche Lyrik wird, überhaupt keiner germanistischen Überlegung mehr wert zu sein. Es geht nur noch um Wortsemantik. In den früheren und mittleren Gedichten von Celan, die noch nicht so wortmonoton sind, ist aber doch deutlich zu merken, daß es sehr wohl um Wohltönerei/Tönerei geht. Mit dem Kopf schütteln muß ich, weil ich mich nicht gut genug bei Celan auskenne, um Ihnen nun sagen zu können: Da und dort gibt es schon metrisch/klangliche Analysen. Ein wenig kenne ich mich aus bei der "Todesfuge", zu er es subtile metrische Untersuchungen gibt - wenn auch immer unter dem fatalen Punkt: Fuge oder nicht? Und was heißt das interpretatorisch? Ich bin wieder ein wenig krank, suche Ihnen aber gern, wenn ich wieder auf dem Damm bin und Sie daran Interesse haben, die Spezialtitel heraus. Alle Aspekte zur "Todesfuge" am besten zusammenfassend: Theo Buck, Celan-Studien 1, "Muttersprache, Mördersprache", 1993 (Rimbaud) und Celan, "Todesfuge", mit einem Kommentar von Theo Buck, 2002 (Rimbaud). Das Freiburger Wolfram Mauser-Team hat 1972 einen ausführlichen Band zu den "Fadensonnen" ediert, in dem es zwar mehr um die Rezeptionsmöglichkeiten dieses Gedichtes (an Schulen) ging, der allerdings eine, erinnere ich mich recht, gründliche, auch formale Analyse voraus ging. (Werner Bauer u. a., Text und Rezeption, Athenäum).

Die letzte gute Zusammenfassung der Diskussion darum, was Lyrik sei, die nur in dem Punkt enden kann: Lyrik ist Vers, wobei die Möglichkeit, Vers sei eine rein visuelle Angelegenheit, eingeschlossen ist, ist: Dieter Burdorf, Einführung in die Gedichtanalyse, Sammlung Metzler. Mit Lamping verwirft er dort alle anderen, historisch berechtigten Definitions- möglichkeiten von Lyrik und legt sich zurecht auf den Vers fest. Dieser kann aber wirklich (Einwort-Lyrik, Visuelle Poesie) rein optisch sein. Ich vermute, daß das bei Celan keineswegs so ist, sondern daß vom Materiellen der Sprache evozierte Assoziationen/Verbindungen auch Kompopsitions- Prinzipien sind. Wie selbst bei der Alltags- oder Laberlyrik der 70er Jahre die Einheit Zeile/Vers immer das Maß, der Knackpunkt gewesen sind. Aber das auch wieder gegen den hermetischen Purismus der Wortzeile bei Celan/Meister.

"Einführung in die Metrik" von Christian Wagenknecht, 1999, ist für mich die beste systematische und historische Verslehre.

Damit kann ich Ihnen nicht sehr konkret helfen. Das tut mir umso leider, als mich Ihre Post aufatmen ließ: Endlich klagt jemand ein, was die Sinnhuberwissenschaft für Defizite schafft, hinter- läßt. Aber es muß halt ein Nicht-Germanist sein.

Sicherlich ist die Klanganalyse von Celan schwieriger als die von Fußballweltmeisterschaftsgesängen. Aber es ist nicht ungut, daß es Celan und Fritz Walter, Celan und Franz Beckenbauer, Celan und Michael Ballack immer gleichzeitig gibt -

meint und grüßt bestenst

Ihr Hermann Kinder.

Am 22.06.2006 um 18:33 schrieb cornelius.schwehr@web.de:

Lieber Hermann Kinder,

Sie haben mir sehr geholfen - und eine große Freude gemacht mit Ihrer Nachricht. Es tut mir sehr leid, daß es Ihnen nicht gutgeht zur Zeit und wünsche Ihnen, daß sich das in Bälde ändert. Natürlich bin ich auch an weiteren Tips interessiert, wenn Ihnen noch was über den Weg läuft (für den Augenblick bin ich allerdings Bestens versorgt worden von Ihnen), sodaß meine Genesungswünsche auch nicht die kleinste Spur Eigeninteresse haben (abgesehen von dem, daß es Ihnen gutgehen möge). Ich hänge Ihnen hier ein Textchen von mir dran (ein Vortragstext), das ist nur zu Ihrer Information und wenn er Ihnen auch noch ein bißchen Freude macht, wär's ganz prima - neben dem eigentlichen Thema (ich weiß nicht, wie die Problematik in Ihrem Fach diskutiert wird) ist vielleicht besser als ich es in einer email kurz kenntlich machen kann, zu sehen, wo meine Fragen herkommen, und wo sie hinwollen (auch die nach dem Celan). Seien Sie herzlichst gegrüßt Ihr Cornelius Schwehr

p.s.: auch nur als ein Beispiel: mich berührt dieses zweimal "geht" sehr, im zweiten und dritten Vers der Schlußstrophe vom "Panther" Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille sich lautlos auf -. Dann geht ein Bild hinein, geht durch der Glieder angespannte Stille - und hört im Herzen auf zu sein. und ich vermute, daß das damit zu tun hat, daß eine Spannung entsteht, zwischen der "Identität" des Wortes und seiner Differenz in der metrischen Stellung und weil ich das so zu hören meine, höre ich auch keine Wiederholung, sondern ein Verschiedenes, was das Gleichsein zur Voraussetzung hat (oder so ähnlich - ich weiß nicht, wie ich das anders sagen soll). Und deswegen ärgert und stört mich in der "Hortensie" auch das "Blau" und "Blaues" : Doch plötzlich scheint das Blau sich zu verneuen in einer von den Dolden, und man sieht ein rührend Blaues sich vor Grünem freuen. Das erscheint mir defizitär und unelegant (in dem Kontext, Rilke meine ich) - das kann der Gustav Mahler wirklich um Klassen besser. Da gibt es musikalische Entsprechungen, und in dieser Ecke bin ich am Wildern bei Ihnen und in ihrem Fach. Und nun verzeihen Sie mir, daß ich Ihnen hier mit Rilke gekommen bin (es war nur ein knappes Beispiel, welches ich woanders knapper nicht finden konnte) - vielleicht finden Sie den Rilke ja auch ganz blöd und geschmäcklerisch (und abgeschmackt) - ich bin da sehr unkritisch (was das Ganze angeht) - so ein "geht" macht mir ein Gedicht lieb und so ein "Blau" kann es mir verleiden - und wenn das Kitsch gewesen sein sollte, - ich merke es nicht.

Antwort von Hermann Kinder

Lieber Cornelius Schwehr,

das tut mir ungeheuer gut, wie Sie mit den Texten umgehen: Das bewundere ich - andererseits bin ich auch ein wenig getröstet dadurch, daß auch Sie kein vollständiges Vokabular haben, mit denen Sie die emotionalen (?) Effekte von Lyrik beschreiben können. Ich weiß auch nicht, ob das überhaupt ginge. Denn die Wirkungen sind wohl doch nicht mechanische, sondern Gefühls/Sinn-Mischungen, die eben nicht im Sinne von Reiz/Reaktion auf unterschiedliche subjektive Dispositionen treffen. So ist es mit dem "geht" im "Panther" (ich lasse jetzt wegen der Zitate Ihren Brief weiter dranhängen): Das Gedicht ist voller Wiederholungen, die vor allem wohl eine Melodie mit Vokalen (in der ersten Strophe) und mit Alliterationen in der zweiten Strophe schaffen wollen. Und dann kommt mit: " - Dann geht" das Ereignis der Beobachtung, die nun noch mehr in die Perspektive des Panthers umschlägt ("Herz"). Dies Ereignis mit Pointe und unklarer Lehre ist nun aber sozusagen sprachlich heruntergefahren. Das "geht" ist schlicht, im Wortlaut und als gewöhnliches Wort. Das Exorbitante des Panthers ("tausend Stäbe gäbe) schlägt in etwas anderes um, das dann erlaubt, ein so großes wie schabloniertes Wort wie "Herz" ans Ende zu setzen. Ich bin kein Rilke-Kenner, allerdings nicht aus Überzeugung. Den "Panther" habe ich im Seminar "Lyrik" um 1900 besprochen. In dem Seminar bin ich wieder Trakl begegnet. Und das ist mir das sußsauer Berauschendste. Der Trakl-Ton bleibt mich betörend, als wäre ich noch in der Pubertät, wo er bekanntermaßen am meisten wirkt. Es ist aber nicht unbedingt der Verfalls-Gesang. Zur Sinn-Verwandtschaft kommt eben das Arrangement, das Klingen von innen: "Am Abend, wenn die Glocken Frieden läuten, Folg ich der Vögel wundervollen Flügen." ("Verfall", Anfang) Das sind so Zeilen, die mir einfach nicht aus dem Kopf wollen - wie etwa aus Benns "Welle der Nacht" die Worte: "wehn um den leeren istrischen Palast". Das hat etwas mit aufgerufenen Bildern zu tun (meinen Bildern), nicht mit Sinn und Botschaft und mit der mir nicht hintergehbaren Wirkung von hier den f/v-, o/ü- Wiederholungen. Allein aber schon der Auftakt "Am Abend". "Grodek", Trakls letztes Gedicht beginnt: "Am Abend tönen die herbstlichen Wälder". Trakl liebt ja solche Versatzstücke; "tönen" gehört auch dazu. Und die zünden in mir ein ästhetisches Hochgefühl an aus Klang und Sinn. Aber eben bei mir, vielleicht noch einer, zweier, dreier Generationen - und sonst? In "Grodek" heißt es: "Doch stille sammelt im Weidengrund Rotes Gewölk, darin ein zürnender Gott wohnt Das vergossene Blut sich, mondne Kühle" Trakl geht in seiner "Zitierung" romantisches und religiösen Vokabulars manchmal an den Rand (des Kitsches, von dem ich aber nicht genau weiß, was er ist). Hier geht es mir um das nachgestellte "sich", über das man beim Lesen gern stolpert. Und dennoch hat dieses nachgestellte "sich" etwas Notwendiges, das verloren ginge, formulierte man es um. Ich vermute, daß es etwas zu tun hat mit dem sich in den drei Zeilen in die Mitte schiebenden i-Laut, umgeben von o`s. Aber ob man das so fassen kann, was da an Resonanz geschieht, weiß ich nicht; und für wen das gilt, weiß ich auch nicht. Mit Viscontis "Tod in Venedig" bin schwer gestrandet: Meine Studis fanden das viel zu langweilig, die Musik treffe sie nicht, Mahler war ihnen nicht bekannt. Nur drei von vierzig hielten den Film bis zum Schluß aus. Da stand ich nun mit meiner ästhetischen Hochgefühlen allein.

Meine Studenten haben den "Panther" gern so interpretiert, daß es um das Fremde gehe. Die Natur, das Tier, ein Kolonialisiertes, in das sich der Betrachter projiziere. Das Eigene im Fremden, oder das Fremde im Eigenen. Und das führt mich zu ihrem entschiedenen und etwas frechen (die Sache mit dem Messias) Vortrag. Ihre Thesen, daß Aneignung des Fremden meist Imperialismus bedeutet, daß das sine qua non der komplexe und in den Ansprüchen gewachsene Stand der eigenen kulturellen Identität, aus der nicht geflüchtet werden dürfe, sein müsse, freut mich und irritiert mich. Freut mich, weil derartige Positionen in unserem von Interkulturalität, Ethnologie, Intermedialität dominierten Fach nicht mehr zu hören sind. Freut mich noch mehr und irritiert mich, weil das ja eine ästhetische Norm bedeutet: Man kann hinter den Stand der Moderne in ihrer Geschichte und in ihrem Spektrum nicht zurück. Das ist natürlich gar nicht mehr zu hören in der Literatur. Im "Spiegel" war neulich ein Interview mit drei jungen AutorInnen (Trojanow, Meyer, Kukart), in dem allein schon der Name Adorno als ein Hall aus einer gestorbenen Welt bezeichnet wurde. Unsere Schreiber sind antitheoretisch und gern postmodern darin, daß Texte erzählen und nur nicht zu kompliziert sein sollen. Mich irritiert dies deshalb, weil ich immer ein lauer und unentschiedener Kerl in Bezug auf die Negative Ästhetik gewesen bin.

Noch dies: Mein Neffe, der Pianist, zuletzt ist er mit dem Stuttgarter Schulorchester mit Bruchs Doppelkonzert angetreten, der Komponist werden möchte etc, würde gern Ihr Angebot annehmen, um mit Ihnen etwas zu reden. Er hat Kompositionen gemacht, auch schon Kurse absolviert. Deshalb die Frage: Könnte ich ihn, Nicolas Kuhn (aber französisch ausgesprochen), bei Ihnen an der Hochschule für eine Stunde abgeben? Zur Schulzeit käme dabei für ihn nur ein Nachmittag nach der Schule an einem Montag, Donnerstag oder Freitag in Frage.

In Freiburg, lese ich, ist es noch heißer als am See. Am Kaiserstuhl sowieso. Deshalb wünsche ich Ihnen erträgliche Hundstage und daß Sie kein Stein des Freiburger Münsterturmes treffen möge . und bleibe

Ihr Kinder.

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