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RilkeFuenfteElegie

  Die fünfte Elegie 
  (Frau Hertha Koenig zugeeignet)

  Wer aber sind sie, sag mir, die Fahrenden, diese ein wenig
  Flüchtigern noch als wir selbst, die dringend von früh an
  wringt ein wem, wem zu Liebe
  niemals zufriedener Wille? Sondern er wringt sie,
  biegt sie, schlingt sie und schwingt sie,
  wirft sie und fängt sie zurück; wie aus geölter,
  glatterer Luft kommen sie nieder
  auf dem verzehrten, von ihrem ewigen
  Aufsprung dünneren Teppich, diesem verlorenen
  Teppich im Weltall.
  Aufgelegt wie ein Pflaster, als hätte der Vorstadt-
  Himmel der Erde dort wehe getan.
                                                     Und kaum dort,
  aufrecht, da und gezeigt: des Dastehns
  großer Anfangsbuchstab..., schon auch, die stärksten
  Männer, rollt sie wieder, zum Scherz, der immer
  kommende Griff, wie August der Starke bei Tisch
  einen zinnenen Teller.

  Ach und um diese
  Mitte, die Rose des Zuschauns:
  blüht und entblättert. Um diesen
  Stampfer, den Stempel, den von dem eignen
  blühenden Stau getroffen, zur Scheinfrucht
  wieder der Unlust befruchteten, ihrer
  niemals bewußten, - glänzend mit dünnster
  Oberfläche leicht scheinlächelnden Unlust.

  Da: der welke, faltige Stemmer,
  der alte, der nur noch trommelt,
  eingegangen in seiner gewaltigen Haut, als hätte sie früher
  zwei Männer enthalten, und einer
  läge nun schon auf dem Kirchhof, und er überlebte den andern,
  taub und manchmal ein wenig
  wirr, in der verwitweten Haut.

  Aber der junge, der Mann, als wär er der Sohn eines Nackens
  und einer Nonne: prall und strammig erfüllt
  mit Muskeln und Einfalt.

  Oh ihr,
  die ein Leid, das noch klein war,
  einst als Spielzeug bekam, in einer seiner
  langen Genesungen....

  Du, der mit dem Aufschlag,
  wie nur Früchte ihn kennen, unreif,
  täglich hundertmal abfällt vom Baum der gemeinsam
  erbauten Bewegung (der, rascher als Wasser, in wenig
  Minuten, Lenz, Sommer und Herbst hat) -
  abfällt und anprallt ans Grab:
  manchmal, in halber Pause, will dir ein liebes
  Antlitz entstehn hinüber zu deiner selten
  zärtlichen Mutter; doch an deinen Körper verliert sich,
  der es flächig verbraucht, das schüchtern
  kaum versuchte Gesicht... Und wieder
  klatscht der Mann in die Hand zu dem Ansprung und eh dir
  jemals ein Schmerz deutlicher wird in der Nähe des immer
  trabenden Herzens, kommt das Brennen der Fußsohln
  ihm, seinem Ursprung, zuvor mit ein paar dir
  rasch in die Augen gejagten leiblichen Tränen.
  Und dennoch, blindlings,
  das Lächeln...

  Engel! o nimms, pflücks, das kleinblütige Heilkraut.
  Schaff eine Vase, verwahrs! Stells unter jene, uns noch nicht
  offenen Freuden; in leiblicher Urne
  rühms mit blumiger schwungiger Aufschrift: "Subrisio saltat."

  Du dann, Liebliche,
  du, von den reizendsten Freuden
  stumm Übersprungne. Vielleicht sind
  deine Fransen glücklich für dich -,
  oder über den jungen
  prallen Brüsten die grüne metallene Seide
  fühlt sich unendlich verwöhnt und entbehrt nichts.
  Du,
  immerfort anders auf alle des Gleichgewichts schwankende Waagen
  hingelegte Marktfrucht des Gleichmuts,
  öffentlich unter den Schultern.

  Wo, o wo ist der Ort - ich trag ihn im Herzen -,
  wo sie noch lange nicht konnten, noch von einander
  abfieln, wie sich bespringende, nicht recht
  paarige Tiere; -
  wo die Gewichte noch schwer sind;
  wo noch von ihren vergeblich
  wirbelnden Stäben die Teller
  torkeln...

  Und plötzlich in diesem mühsamen Nirgends, plötzlich
  die unsägliche Stelle, wo sich das reine Zuwenig
  unbegreiflich verwandelt -, umspringt
  in jenes leere Zuviel.
  Wo die vielstellige Rechnung
  zahlenlos aufgeht.

  Plätze, o Platz in Paris, unendlicher Schauplatz,
  wo die Modistin, Madame Lamort,
  die ruhelosen Wege der Erde, endlose Bänder,
  schlingt und windet und neue aus ihnen
  Schleifen erfindet, Rüschen, Blumen, Kokarden, künstliche Früchte -, alle
  unwahr gefärbt, - für die billigen
  Winterhüte des Schicksals.

  .............................................................

  Engel!: Es wäre ein Platz, den wir nicht wissen, und dorten,
  auf unsäglichem Teppich, zeigten die Liebenden, die's hier
  bis zum Können nie bringen, ihre kühnen
  hohen Figuren des Herzschwungs,
  ihre Türme aus Lust, ihre
  längst, wo Boden nie war, nur an einander
  lehnenden Leitern, bebend, - und könntens,
  vor den Zuschauern rings, unzähligen lautlosen Toten:
    Würfen die dann ihre letzten, immer ersparten,
  immer verborgenen, die wir nicht kennen, ewig
  gütigen Münzen des Glücks vor das endlich
  wahrhaft lächelnde Paar auf gestilltem
  Teppich?
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Page last modified on March 22, 2009, at 10:38 PM